Auf der Suche nach dem Buddha
von Jorge Bucay
Buddha reiste durch die Welt, um seine selbsternannten Schüler zu treffen und ihnen von der Wahrheit zu berichten. Wo immer er sich auch aufhielt, immer strömten die Leute, die an sein Wort glaubten, in Scharen herbei, um ihm zuzuhören, ihn zu berühren oder zu sehen, und sei es auch nur dies eine Mal in ihrem Leben.
Vier Mönche auf dem Weg
Vier Mönche, die erfahren hatten, dass der Buddha irgendwann auch nach Vaali kommen würde, luden ihre Siebensachen auf ihre Maultiere und machten sich auf die Reise, die, wenn alles gutging, einige Wochen dauern würde. Einer von ihnen kannte sich nicht gut aus, er heftete sich an die Fersen der anderen. Nach drei Tagen wurde die Gruppe von einem gewaltigen Sturm überrascht. Die Mönche beschleunigten ihr Tempo und gelangten in ein Dorf, wo sie Unterschlupf fanden, bis der Sturm vorbei war.
Die Wege trennen sich
Der letzte aber erreichte das Dorf nicht rechtzeitig und musste etwas außerhalb Zuflucht im Haus eines Schäfers suchen. Der Schäfer gab ihm Kleidung, Verpflegung und ein Dach über dem Kopf für die Nacht. Bevor er am nächsten Morgen aufbrach, wollte sich der Mönch noch von seinem Wohltäter verabschieden. Doch der Sturm hatte die Schafe verscheucht, und der Schäfer war damit beschäftigt, sie wieder zusammenzutreiben. Der Mönch überlegte, dass seine Mitbrüder eventuell schon das Dorf verlassen hätten und er sie sicherlich nicht mehr einholen konnte, wenn er sich nicht beeilte. Aber es schien ihm unmöglich, seine Reise fortzusetzen und den Schäfer, der ihm Kost und Logis gewährt hatte, seinem Schicksal zu überlassen. Also beschloss er zu bleiben, bis sie gemeinsam alle Schafe wieder eingefangen hätten. Erst drei Tage später konnte er sich eilig auf den Weg machen, um Anschluss an seine Gefährten zu finden.
Die alte Frau und die Ernte
Auf den Spuren der anderen machte er an einem Bauernhof halt, um seinen Wasservorrat aufzufrischen. Eine Frau zeigte ihm, wo der Brunnen war, und entschuldigte sich, ihm nicht recht behilflich sein zu können, denn sie müsse ihre Ernte einbringen. Während der Mönch sich anschickte, seine Maultiere zu tränken und seine Wasserschläuche zu füllen, schilderte sie ihm, wie schwierig es für sie und ihre Kleinen nach dem Tod ihres Mannes war, die Felder abzuernten, bevor das Korn verdarb. Der Mönch erkannte, dass es die Frau allein niemals schaffen konnte, die gesamte Ernte innerhalb gebotener Zeit einzubringen, aber er wusste auch, dass er, wenn er bliebe, die Spur verlieren und nicht in Vaali sein würde, wenn der Buddha dort ankäme. „Dann sehe ich ihn eben ein paar Tage später“, dachte er, denn er wusste, dass Buddha erst in ein paar Wochen von Vaali aufbrechen würde. Nach drei Wochen war die Ernte eingebracht, und der Mönch begab sich wieder auf die Reise.
Dem alten Paar das Leben gerettet
Da erfuhr er, dass Buddha Vaali bereits verlassen hatte und zu einem Dorf im Norden unterwegs war. Der Mönch änderte seine Route und trieb sein Maultier in Richtung dieses Dorfes an. Er hätte dort hinkommen und ihn wenigstens sehen können, doch auf dem Weg musste er einem älteren Paar zu Hilfe eilen, das stromabwärts trieb und ohne seinen Beistand dem sicheren Tod ins Auge geblickt hätte. Als die beiden Alten wieder bei Kräften waren, nahm er seinen Pfad wieder auf, da er wusste, dass Buddha seine Reise fortsetzte.
Zwanzig Jahre ging es so weiter
Zwanzig Jahre lang folgte der Mönch Buddha auf seinem Weg. Jedes Mal, wenn er in seine Nähe gelangte, kam es zu einem Zwischenfall, der seine Reise unterbrach. Immer gab es da jemanden, der seine Unterstützung brauchte und ihn unwissentlich davon abhielt, rechtzeitig bei Buddha einzutreffen.
Die letzte Chance
Schließlich hörte der Mönch, dass Buddha an seinen Geburtsort zurückkehren wollte, um dort zu sterben. „Das ist meine letzte Gelegenheit“, dachte er bei sich. „Wenn ich nicht selbst sterben will, ohne Buddha vorher gesehen zu haben, darf ich jetzt nicht mehr vom Weg abkommen. Jetzt gibt es nichts Wichtigeres mehr, als Buddha zu treffen, bevor er das Zeitliche segnet. Danach wird es noch genügend Gelegenheiten geben, anderen zu helfen.“ Auf seinem Maultier machte er sich mit dem restlichen Proviant auf die Reise.
Der verletzte Hirsch
Am Morgen, bevor er das Dorf erreichte, stolperte er fast über einen verletzten Hirsch. Er kümmerte sich um ihn, gab ihm zu trinken und bedeckte seine Wunden mit frischer Tonerde. Der Hirsch schnappte verzweifelt nach Luft, da ihm schon mehr und mehr der Atem wegblieb. Aber weit und breit war kein Mensch in Sicht. Behutsam bettete er das Tier gegen einen Felsen, um seinen Weg fortzusetzen, er ließ ihm Wasser und Futter in Reichweite seiner Schnauze da und erhob sich zum Gehen. Er hatte kaum zwei Schritte getan, da wusste er, dass er Buddha nicht vor die Augen treten konnte und im tiefsten Herzen wissen, dass er ein sterbendes Wesen sich selbst überlassen hatte…
Also sattelte er das Maultier wieder ab und blieb, um die arme Kreatur zu pflegen. Die ganze Nacht lang wachte er über den Schlaf des Hirschen, als handelte es sich um ein Kind. Er gab ihm zu trinken und wechselte die Umschläge auf seiner Stirn. Als der Morgen graute, hatte das Tier sich erholt.
Der Mönch stand auf, setzte sich an einen verborgenen Ort und weinte… Schließlich hatte er auch die letzte Gelegenheit verstreichen lassen. „So habe ich Dich nie treffen können“, sagte er laut.
Endlich angekommen
„Such nicht weiter nach mir“, sagte eine Stimme hinter ihm, „denn du hast mich bereits getroffen.“
Der Mönch drehte sich um und sah, wie sich der Hirsch mit Licht füllte und die rundliche Form Buddhas annahm. „Du hättest mich verloren, wenn du mich heute Nacht hättest sterben lassen, um
mich im Dorf zu treffen… Und, was meinen Tod angeht, so sei unbesorgt: Solange es Menschen wie dich gibt, die sich jahrein, jahraus auf die Suche nach mir begeben und unterdessen zugunsten anderer auf ihre eigenen Bedürfnisse verzichten, kann Buddha nicht sterben. Denn genau das ist Buddha. Buddha ist in dir.“
Der Weg ist das Ziel
Mit herzlichem Gruß,
Christian
vom Team Akademie Achtsame Kommunikation
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